Meine Menschen wissen nicht, dass ich es weiß. Ich höre viel, während ich tagsüber unter meiner Decke liege. Ich kann eins und eins zusammenzählen. Die Menschen halten uns Katzen für einfühlsam. Sie schätzen unsere Unabhängigkeit. Wir hören eben nicht aufs Wort. Es ist eher umgekehrt. Sehr häufig tun die Menschen genau das, was wir wollen, und merken es nicht einmal. Trotzdem wird unsere Intelligenz unterschätzt und das ist gut so.
Ich schweife ab. Ihr wollt natürlich wissen, was ich weiß, … nämlich dass die Chefin Geburtstag hatte, ein runder Geburtstag. Sie wurde sechzig Jahre. Es lag ihr viel daran, diesen Tag auf der Tosh zu verbringen. Der Chef und die Chefin haben wochenlang daraufhin gearbeitet, dass diese Idee Realität wurde. Verstanden habe ich es nicht. Zu Hause ist es wunderschön. Wir wohnen direkt an einem Kanal, zwar nicht auf dem Wasser, aber immerhin daneben. Es schwankt nicht, wir haben viel Platz und können in den Garten. Es gibt Mäuse und Vögel, Nachbarskatzen, Nachbarshunde und Nachbarsmenschen jenseits des Zauns. Überhaupt ist dieser Zaun ein Segen. Die Liste der Vorteile ist so lang, ich muss sie gar nicht aufschreiben.
Trotzdem mussten wir auf diese Tosh. Wir erhielten Geschirr, Leinen und Schwimmwesten. Keines unserer Vetos und Argumente hat etwas genutzt. Die Menschen haben uns in die Transportboxen verfrachtet und auf das Boot gebracht. Eine Kombüse und zwei Kajüten für drei ausgewachsene Katzen mit Ansprüchen und zwei Menschen, die sich wie Kinder benehmen. Wohl oder übel – eigentlich mehr übel – haben wir uns gefügt.
An ihrem Geburtstag hat die Chefin diese Glückwunschkarte vorgelesen. Darauf stand: Da wir das Leben nicht verlängern können, müssen wir es verdichten. Das habe jemand Berühmtes gesagt, ein sehr schlauer Mann, Roger Willemsen heißt er.
“Da wir das Leben nicht verlängern können, müssen wir es verdichten.” – Roger Willemsen
In diesem Moment ging mir ein Licht auf. Diese Geschichte mit dem Boot ist pure Panik. Die Chefin glaubt, ihr Leben nähere sich dem Ende. Weil sie es nicht verlängern kann, muss es dichter werden. Alles soll näher zusammenstehen, die Räume zwischen den Dingen sollen kleiner sein. So klein wie möglich. Wir müssen zwangsläufig enger beieinanderhocken, uns aneinanderdrängen, mehr kuscheln. Das schafft Wärme und Wohlbefinden. Wir werden zu einer Einheit, einem undurchdringbaren Team. Dichte führt zu mehr Lebensqualität und dann empfinden wir die Zeit, die uns bleibt, intensiver. So die Theorie. Ich nahm mir vor, diese im Laufe des Tages gründlich zu durchleuchten. Unter meiner ziemlich dichten Decke denkt sich gut. Dahin würde ich auch gleich wieder verschwinden. Die Chefin und der Chef machten die Leinen los. Wir verließen den Yachthafen Wartena. Eine kurze Etappe gen Westen. Am frühen Nachmittag sollten wir in Grou ankommen. So der Plan.
1. These. Wenn wenig Platz zur Verfügung steht, ist es sinnvoll, viel zu schlafen. Das war der erste Gedanke, der sich mir unter meiner Decke aufdrängte. Das gilt nicht nur für Katzen. Wenig Raum bedeutet weniger Arbeit für die Menschen. Natürlich muss das Essen gekocht werden und wir gefüttert. Natürlich hat auch ein Boot eine Kombüse, es hat Fenster und Toiletten – unsere und das der Menschen. All das muss geputzt werden. Aber letztlich ist die Arbeit weniger und die Distanzen kürzer. Die Menschen könnten also mehr schlafen. Tun sie aber nicht. Wenn wir, Tabbi, Yoshi und ich, morgens alle drei zu ihnen in die Koje kommen, wenn es also besonders dicht und kuschelig ist, dann springt die Chefin wie von der Tarantel gestochen auf und sieht dabei gar nicht glücklich aus.
2. These. Die Tage habe ich ein Gespräch belauscht. Es ging um Wasser. Nicht das, in dem die Tosh schwimmt, sondern das, das in der Tosh schwimmt. Das dann aus Hähnen läuft, um die Toilette zu reinigen, die Hände und das Gesicht zu waschen oder die Abwäsche zu erledigen. Es wird nicht getrunken. Das Trinkwasser schwimmt in Flaschen. Es ist kompliziert. Vor allen Dingen, wenn die Chefin ausrechnen will, wohin die 220 Liter aus dem Wassertank, der alle 1,5 Tage aufgefüllt wird, verschwinden. Sie seien doch bereits sehr sparsam, behauptete die Chefin. Sie verstehe es nicht. Der Tank könne nicht dicht sein. Ist etwas endlich oder funktioniert es nicht, kommen meine Menschen ins Grübeln. Ich erinnere an Yoshis Geschichte über den rauschenden Strom. Grübeln bringt die Augenbrauen dichter zueinander. Nachdenken in einem nicht zu extremen Ausmaß führt zu dichten, intensiven Momenten und macht ausgesprochen schläfrig.
3. These. Gestern Abend nach einem ausgiebigen Dinner durfte ich an Deck und lief sehr sehr langsam einmal an der Reling entlang. Man läuft im Kreis. Man läuft Backbord am Steuerstand raus und kommt Steuerbord wieder rein. Es war recht sinnlos, trotzdem achtete ich während des Rundgangs intensiv auf meine Gefühlswelt, denn der Chef hatte behauptet, ein Tag auf der Tosh ersetze eine Woche gewöhnlichen Urlaub. Das träge Dahingleiten der Tosh sei gut für die Seele. Auf das Wasser zu schauen, beruhige. Das Grün der friesischen Landschaft puste unnütze Gedanken aus dem Kopf und die frische Luft mache Appetit. In diesem Moment knurrte mein Magen. Ich hatte seit einer Stunde nichts mehr gegessen. Trotz des üppigen Abendmahls schien mir ausreichend Platz für einen Nachschlag. Danach – so war ich mir sicher – würde sich augenblicklich die nötige Kojenschwere einstellen.
4. These. Dann die Verletzungsgefahr. Die Chefin ist wenig glücklich, wenn sie sich irgendwo stößt. Das tut sie oft auf der Tosh: beim Anziehen oder beim Aufräumen. Irgendwas ist immer an der falschen Stelle: der Kopf, der Ellenbogen, das Schienbein. Die Dichte der blaue Flecken an diesen Körperteilen sei besorgniserregend. Zu bedenken ist, dass die Tosh gelegentlich erheblich schaukelt. Meiner wenig geschätzten Meinung nach sind die Bewegungen der Chefin zu hastig. Wie zuhause will sie in kurzer Zeit eine zu große Menge an Tätigkeiten erledigen. Die Tosh verlangt nach Langsamkeit und Konzentration. Das ist wie beim Mäusejagen. Man muss die Geduld aufbringen, so lange vor dem Mäuseloch zu warten, bis sich die richtige Gelegenheit einstellt. Kommt sie nicht, ist es auch gut. Selbst die Tosh ist unendlich langsam. Das gefällt mir tatsächlich sehr. Sie hat in vier Tagen keine 120 Kilomenter zurückgelegt. Das kann man easy peasy auch mit dem Fahrrad zurücklegen. Nicht dass ich radeln würde, aber die Menschen lieben Vergleiche. Tatsache ist, Langsamkeit führt zu mehr innerer Ruhe, zu Ausgeglichenheit, zu Schläfrigkeit.
“Gib Gas”, hörte ich eine unbekannte Männerstimme. “Jetzt richtig Gas geben!” Auf Deck ging es hektisch zu. Der vielen Gedanken wegen hatte ich nicht mitbekommen, dass wir bereits den Zielort erreicht hatten. “Scheiß Wind”, fluchte der Chef laut. Meine Menschen schienen sich mitten im Anlegemöver zu befinden. Das Boot tat nicht, was sie wollten. Der Wind schien die Steuerung übernommen zu haben und die Tosh ihm ausgeliefert. Blitzschnell rollte ich mich zweimal mehr in meine Decke ein und versuchte mich mit sinnvollen Gedanken abzulenken: Die Dichte bestimmt die Trägheit, mit der der Bewegungszustand des Körpers auf von außen einwirkende Kräfte reagiert, überlegte ich – ja, wir Katzen kennen uns mit Physik aus. Daraus musste man zwangsläufig zwei Schlussfolgerungen ziehen:
Die Tosh besitzt alles andere als eine hohe Dichte.
Der Urlaub auf der Tosh ist für die Katz.
Bilanz des Tages – 28.05.2024:
- Bei starkem Wind ist es aus mit der Langsamkeit, dann braucht die Tosh viel Schub oder (zukünftig) ein Heckstrahlruder.
- Auch anderen Kapitänen und Kapitäninnen fällt das Anlegemanöver bei Wind schwer.
- An allen Häfen fanden sich bisher hilfreiche Menschen, die beim Anlegemanöver unterstützten.
- Ein toller Yachthafen mit herrlichem Blick in das Pikmar.
- Der Hafenmeister vom Yachthafen Grou ist ein Kotzbrocken. Da wir letztlich in einer zu großen Box angemacht hatten, zwang er uns, noch einmal umzusetzen, obwohl wir am nächsten Tag bereits weiterfahren würden und der Yachthafen nicht voll war.
Ich finde die Geschichte wunderbar. Sie trifft zu, auf das Wasser zu schauen beruhigt.
Wir habe. keine 3 Katzen aber einen Hund, der uns immer begleitet.