78 Derngate – Mackintosh in Northampton

1916 erreichte Mackintosh ein unerwarteter Auftrag. Er sollte ein Haus in Northampton umbauen, ein Reihenhaus, ein sehr schmales Reihenhaus aus dem frühen 19. Jahrhundert: 78 Derngate. Was Mackintosh daraus machte, ist nicht zu vergleichen mit seinen Privatbauten in Glasgow, mit Windyhill und Hill House. Charles Rennie Mackintosh erfindet sich neu.

Zu dieser Zeit, zwischen 1915 und 1923, lebte Mackintosh zusammen mit seiner Frau Margaret in London. Mit großen Mühen und noch mehr Hoffnung versuchte er in der britischen Hauptstadt als Architekt Fuß zu fassen. Letzlich vergebens. Eine Übersicht der Londoner-Projekte liefert der Mackintosh-London-Reiseführer.

Der Auftraggeber – Wenman J. Bassett-Lowke

Der Kontakt zu Wenman J. Bassett-Lowke (1877-1953) wird für Mackintosh ein Sechser im Lotto gewesen sein. Bassett-Lowke war Firmengründer von W. J. Basset-Lowke Ltd., er vertrieb Modelleisenbahnen und Modellschiffe sowie Miniatureisenbahnen für den Außenbereich. Seine Ware importierte er zum Teil aus Deutschland, zum Teil produzierte er sie selbst. Das erklärt seine Kontakte zum Deutschen Werkbund. Er wurde früh Mitglied in seiner englischen Äquivalenz, der Design and Industries Association, die am Anfang des ersten Weltkriegs gegründet wurde.

Foto: (C) unbekannt

Es ist klar: Bassett-Lowke interessierte sich sehr für modernes Design. Aber wie kam er auf Charles Rennie Mackintosh?

Es war nach dem Erwerb des Hauses, nach dem Kauf von 78 Derngate in Northampton. Bassett-Lowke verbrachte seinen Urlaub in Cornwall und traf dort einen Freund aus Glasgow. Der wird von Charles Rennie Mackintosh geschwärmt haben, von seinen Häusern und Design. Genau der richtige Architekt für Basset-Lowke. Dieser Glasgower Freund könnte Francis (genannt: Fra) Henry Newbery, der Direktor der Glasgow School of Art, gewesen sein.

78 Derngate

Wie das Bild (oben links) erkennen lässt, ist 78 Derngate außergewöhnlich schmal. Die nächste Haustür gleich links neben dem Erkerfenster gehört bereits zum Nachbarhaus. 78 Derngate liegt am Hang, es ist viergeschossig, das Untergeschoss ist im Norden Keller und im Süden ebenerdig, Badezimmer fehlen, Flure verbrauchen unnötigen Raum. Alles in allem sind die Zimmer dunkel und eng. Die Hanglage und der Südblick werden den eigentlichen Reiz ausgemacht haben. Basset-Lowke ist frisch verheiratet. 78 Derngate soll das Domizil für das junge Paar werden.

Am 31. Juli 1916 schreibt Bassett-Lowke Mackintosh, erklärt, die Zeichnungen seien angekommen und erbittet Ratschlag in der Angelegenheit “Teppich” und “Halle”.

Bassett-Lowke Brief an Mackintosh vom 31.07.1916
Foto (C) Uwe Langner – Ausstellung Glasgow Herald Building


Heute kann nicht mehr nachvollzogen werden, bis zu welchem Ausmaß, Mackintosh in den Umbau des Hauses einbezogen war. Es ist nicht sicher, inwieweit er die strukturelle Umbaumaßnahmen des Hauses verantwortete. So ist es wohl Bassett-Lowke, der die Idee einer Südveranda hatte, die Erweiterungen sollen schon begonnen haben, als Mackintosh in das Projekt eintrat. Dass dieser für alle Innendesigns verantwortlich war, ist jedoch unbeschritten und jedem klar, der Mackintoshs Handschrift kennt.

78 Derngate – Eingangstür – (C) Derngate Northampton Trust


78 Derngate wurde um zwei Anbauten erweitert. Einerseits das Erkerfenster auf der Frontseite, andererseits ein mehrgeschossiger Anbau mit Veranda auf der Rückseite. Die Idee mag die von Bassett-Lowke gewesen sein, bei der Ausführung hatte Mackintosh garantiert die Finger im Spiel.

78 Derngate – Gartenerweiterung – (C) Derngate Northampton Trust


The Lounge Hall

Lounge Hall nannten die Bassett-Lowkes den Raum, der nicht einmal 8 Quadrameter umfasste, jedoch einem Wohnzimmer am nächsten kam. Hier fanden 10 Menschen Platz. Man glaubt das Lachen vieler fröhlicher Gäste zu hören, wenn man dieses Bild betrachtet.

78 Derngate – Lounge Hall- Foto (C) Uwe Langner – Ausstellung Glasgow Herald Building

In dieser Umgebung scheint mir das Feiern von Festen fast Pflicht. Als hätte Mackintosh das passende Design zum Jazz entwickelt, dabei war dieser Musikstil 1916 noch nicht in England angekommen.


78 Derngate – Lounge Hall – (C) Steve James für Derngate Northampton Trust
78 Derngate – Detail in der Lounge Hall – (C) Derngate Northampton Trust

Die Küche


78 Derngate – Küche – (C) Derngate Northampton Trust

Wer viele Gäste hat, brauchte auch eine Küche. Diese liegt im Untergeschoss, hat jedoch Zugang zum Garten. 78 Derngate hat Hanglage.

Ich weiß nicht mehr, wo ich das gelesen habe, aber einer dieser Schalter ist zu rein gar nichts gut. Wer je ein Haus gebaut hat, weiß: Diese Dinge passieren.


Bassett-Lowke und George Bernhard Shaw


78 Derngate – Schlafzimmer – (C) Steve James for Derngate Northampton Trust

Bassett-Lowke wurde 1910 Mitglied der Labour-Party, es heißt, er hätte radikale politische Ansichten vertreten, was immer das auch heißen mag. Er setzte sich für den Bau eines öffentlichen Bades in Northampton ein und für die Gründung eines Programmtheaters. In diesem Zusammenhang lernte er wohl den Schauspieler George Bernhard Shaw kennen, der Gast in 78 Derngate war. Bei dieser Gelegenheit zeigte Bassett-Lowke Shaw das Gästeschlafzimmer.

“Ich bin sicher das Design wird nicht Ihren Schlaf stören”, sagte Bassett-Lowke.

“Nein”, antwortete Shaw. “Ich schlafe immer mit geschlossenen Augen.”


78 Derngate heute

Heute ist 78 Derngate in Verwaltung des Derngate Northampton Trust und ein Museum. Wenn Sie als je nur annähernd in der Nähe sein sollten, nehmen Sie sich die Zeit und schauen Sie sich das einzige Mackintosh Haus in England an. Auf www.78derngate.org.uk finden Sie alle Informationen zu Öffnungszeiten und Anfahrt, viele Information rund um Derngate, Bassett-Lowke und Mackintosh und wenn Sie Social-Media Fans sind, empfehle ich Ihnen den Facebook- oder Twitterkanal von 78 Derngate wegen der wunderbaren Art-Fotos, die regelmäßig gepostet werden. Ein Augenschmauß.

Einen ersten Einblick verschafft Ihnen dieser 360-Grad-View. Geradezu befindet sich der Shop. Schwenken Sie das Bild nach rechts, um das Mackintosh-Haus zu sehen. Neben dem Erkerfenster befindet sich die schwarze Eingangstür.


Das zweite Haus von Bassett-Lowke

In den 1920er Jahren wollte Basset-Lowke erneut bauen. Vermutlich ist ihm Derngate zu klein geworden. Verzweifelt suchte er nach Mackintosh, doch der hatte die Architektur an den Nagel gehangen. Die andauernde Ablehnung und das kostspielige Leben in London waren die Ursachen für die Entscheidung der Mackintoshs, nach Südfrankreich zu ziehen. Bassett-Lowke suchte vergeblich und beauftragte schließlich einen alten Bekannten von Mackintosh mit den Plänen für sein neues Haus, den deutschen Architekten Peter Behrens (1868-1940).

(C) Karen Grol – 16.03.2019
Ich danke dem Derngate Northampton Trust für die Bereitstellung von aktuellen Fotografien.