Keine Meuterei auf der Tosh

Geschämt habe ich mich, derart geschämt, dass ich mich am liebsten in Luft aufgelöst hätte. Auf keinen Fall wollte ich, dass sich mir einer dieser zwei Pappnasen näherte. Tabbi und Quincy haben sich nicht im Griff. Der erste Tag auf der Tosh hat es gezeigt. Der eine kann gar nicht und der andere nicht an sich halten. Der eine ist unten verstopft und der andere an derselben Stelle zu durchlässig. Beide sind zu verstört, um rechtzeitig eines unserer stillen Örtchen aufsuchen. Und als es dann geschehen war, legte sich Quincy ins (immer noch) blütenreine Katzenklo. Schön dunkel und sicher. Himmel, sind die beiden peinlich.

Daher habe ich einen Tag und eine halbe Nacht ohne Unterlass geknurrt, damit sie mir ja nicht zu nahe kommen, damit alle Welt sieht: Not my friends. Anschließend überwog die Erschöpfung das Fremdschämen.

Ich bin Yoshi, 14 Jahre alt. Tabbi ist (leider) mit mir verwandt. Wir haben denselben Vater. Während Tabbi unserem Vater äußerlich ähnelt, habe ich Vaters innere Werte geerbt. Ich bin tapfer. Ich bin ausdauernd. Ich bin clever. Beispiel gefällig?

Cleverness! Nie muss ich alleine fressen. In Gesellschaft frisst sich bekanntlich am besten. Und wenn ich Gesellschaft sage, meine ich nicht die zwei peinlichen Gesellen Tabbi und Quincy. Ich rede von meinen Menschen. Sie lassen mir wohltuende verdauungsfördernde Streicheleinheiten während des Fressens zukommen. Wie ich sie dazu bringe? Ich verrate es: Ich verweigere solange die Nahrungsaufnahme, untermale den Widerstand mit herzzerreißendem Jammern, bis die Menschen ein Einsehen haben und mich bequatschen und – das ist das wichtigste – zärtlichst befingern. Deswegen finde ich die Idee, dass wir die Menschen auf der Reise mir ihrer Tosh begleiten, nicht übel. Wie lange würde es dauern, bis ich eine Versorgungsvertretung derart konditioniert habe?

Also unterstütze ich meine Menschen bei ihren Plänen so gut wie möglich. Tabbi habe ich das nicht gesagt. Der meint, er könne den bei einem Dram edlem Scotch auf einem Boot namens Brammer, das in den Inner Hebrides herumsegelte, entstandenen Spleen mit der Bootsreise auf die eine oder andere Weise boykottieren. Tabbi denkt sogar darüber nach, eine Meuterei anzuzetteln. So eine wie auf der Bounty. Der Kapitän und seine Mannschaft werden auf einem Beiboot ausgesetzt. Das Problem: Wir haben kein zweites Boot dabei. Irgendwann muss Tabbi das begriffen haben und entwickelte einen Alternativplan. In der Nacht zettelten er und Quincy eine für meine Menschen vermutlich zermürbende Belagerung an. Ihr Bett auf der Tosh ist nicht so breit wie Zuhause. Natürlich musste Tabbi in die Mitte zwischen dem Kapitän und der Leichtmatrosin kriechen. Und Quincy? Der will grundsätzlich genau dort liegen, wo Tabbi liegt, und am liebsten quer über dem Kopfkissen. Himmel, sind die beiden peinlich.

Nach einem Tag Erholung im Yachthafen Neptunus von Delfzijl setzten wir am dritten Tag die Reise auf der Tosh fort. Fast mühelos passierten wir die Schleuse Farmsum, folgten bei herrlichem Wetter dem Eemskanaal in Richtung Groningen und unterquerten zahlreiche Brücken. Die meisten öffneten sich quasi von Zauberhand, nachdem der Kapitän zuvor einen seltsamen Geheimcode in einen altmodischen Telefonknochen gesprochen hatte. “Hier ist Motorschiff Tosh, Tosh, möchte die Brücke Woldebrug in Richtung Groningen passieren.” Dann folgten regelmäßig grässliches Piepsen und Knistern und nach einer Weile unverständliche vermutlich humane Laute. Für diese Übung hat der Kapitän extra Lehrgänge belegt. O Captain! My Captain! Das stelle man sich einmal vor! Menschen sind merkwürdig.

Ich machte es mir während der Fahrt in der Lounge unter Deck bequem. Auf Deck traute ich mich bisher nur kurz. Trotz meiner sagenumwobenen Tapferkeit halte ich Vorsicht und Zurückhaltung angesichts des vielen Wassers für die richtige Strategie.

Gemächlich tuckerte die Tosh durch das Wasser. Die Sonne wärmte. Die Leichtmatrosin cremte. Enten ließen uns den Vortritt. Angler, die am Ufer Backbord saßen wie die Vögel auf der Stange, schienen über ihr ermüdendes Tun eingeschlafen zu sein und nicht in der Lage, den freundlichen Gruß der Leichtmatrosin zu erwidern. Nur einer winkte zurück. Mittags erreichten wir nach wohltuender Ereignislosigkeit den Groninger Motorboot Club. O Captain! My Captain und seine Leichtmatrosin verfehlten die Zufahrt. Die seit Delfzijl behauptete Führung musste durch diesen dummen Fehler an das uns seit Delzijl folgende Motorboot abgegeben werden. Ich habe darüber großzügig hinwegsehen. Wir müssen nicht immer die ersten sein.

Sofort fand sich ein Einweiser ein. O Captain! My Captain manövrierte die Tosh – fast – wie ein alter Seefahrer in die viel zu schmale Box. Der Einweiser fing die Seile und unterstütze die Leichtmatrosin witzreich beim Festmachen. “Das Seil ist viel zu lang”, rief er ihr zu. “Das muss abgeschnitten werden!” Die Leichtmatrosin lachte. So leicht lässt sie sich nicht auf die Schippe nehmen. In diesem Moment war ich verdammt stolz auf meine Menschen. Zur Belohnung, nahm ich mir vor, würden sie mich später nach Herzenslust betatschen dürfen. Nicht nur beim Fressen.

Dieses voreilige Vorhaben gab ich recht schnell wieder auf. Ich hasse Peinlichkeiten, wie ihr schon wisst. Die Leichtmatrosin schaffte es nicht, dem Gasherd Leben – also eine offene Flamme – einzuhauchen. O Captain! My Captain nahm ihr genervt das Feuerzeug aus der Hand und … scheiterte. Unausgesprochen lag er in der Luft, dieser Vorwurf: “Nun ist sie leer, die Gasflasche. Nur weil du unbedingt an Bord Brot backen willst.” Der Vorwurf waberte durch die Luft wie der köstliche Duft des frisch gebackenen Brots am Morgen. Ich liebe ihn, auch wenn ich als Kater dem Endprodukt nichts abgewinnen kann. Ich bevorzuge eine Messerspitze Butter ohne Brot, etwas Katzenmilch und Fleisch zum Frühstück.

Abendessen bekamen die Menschen letztlich doch noch. Selbstgebrutzelt. Auf dem Tosh-eigenen Gasherd. Eine Weile dauerte es, bis O Captain! My Captain sich daran erinnerte, dass er am Vormittag vor der Abfahrt in Delfzijl die Gasflasche zugedreht hatte. Wie peinlich!

Ich hätte es ihm sagen können. Aber wer versteht mich schon.

Bilanz des Tages – 24.05.2024:

  • Wir haben Groningen ohne nennenswerte Blessuren erreicht.
  • Seile dürfen so lang sein, wie sie wollen, auch wenn Einweiser Gegenteiliges behaupten.
  • Die am Tag 1 während der Überfahrt verdreckten Decken sind gewaschen und riechen wie der friesische Frühling.
  • Das Radio hat seine Totphase überwunden und dudelt wieder.
  • Der Gasherd funktioniert, wenn die Gasflasche aufgedreht ist.
  • Das Brot soll geschmeckt haben, wie es geduftet hat: köstlich.
  • Der Kartenplotter lässt sich nicht ausschalten.

Ein Kommentar

  1. Pingback:Tosh ist nicht die Titanic – Karen Grol

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