Tag 1 auf der Tosh – Pest und Cholera

Ich bin Tabasco, werde Tabbi genannt. Dass ich auf meine alten Tage – ich werde 16 Lenze in diesem Jahr – noch eine Seereise mache, ist wahrlich eine Zumutung. Meine beiden Kumpel und ich hatten lediglich die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die Pest wäre gewesen, wochenlang allein zu Hause zu bleiben. Natürlich betreut von freundlichen und bemühten Ersatzmenschen. Was jedoch nicht dasselbe ist. Die wissen nichts von meinen Wehwehchen, meinen Verdauungsproblemen und Schlafgewohnheiten: Nachts muss ich unbedingt in den Armen meiner Dosenöffnerin schlummern. Yoshi und Quincy würden sich ohnehin nur verstecken, wenn Ersatzdosenöffner*innen das Haus betreten. Sie mögen keine Fremden. Außerdem würde vermutlich niemand dafür sorgen, dass Quincy nicht die drei Futterportionen allein verputzt. Yoshi und ich würden wer weiß wie lange hungern und der Dicke würde noch dicker werden. Dann doch lieber Cholera. Allerdings habe ich als Oberhaupt der Katzenbande diese Entscheidung getroffen, ohne den geringsten Schimmer zu haben, was es bedeutet, zur See zu fahren.

Zum Glück fahren wir nun doch nicht zur See, das würden wir vermutlich nicht überstehen. Aber lasst mich von Anfang an erzählen. Gestern Vormittag wurden wir auf die Tosh – so heißt das Boot – verfrachtet. Dosenöffner Uwe und Dosenöffnerin Karen haben ganze Arbeit geleistet und alles, was wir brauchen, auf das Liebevollste vorbereitet.

  • Eine ganze Kajüte gehört nur uns allein. Allerdings schlafen wir eh viel lieber in richtigen Betten (siehe Schlafgewohnheiten). Die extra Kajüte hätte man sich also sparen können.
  • Die Futternäpfe gähnten vor Leere. Von irgendwo erreichte mich zwar der Duft meines Lieblingstrockenfutters, allerdings interessierte mich das zu diesem Zeitpunkt herzlich wenig. Bei einem solchen Stress habe ich überhaupt keinen Appetit.
  • Die Katzenklos standen parat. Jedoch hatte ich seit dem frühen Morgen – wie so oft – mit Verstopfung zu kämpfen. Alle morgendlichen Versuche, das Elend im Katzenklo zu entsorgen, waren bereits fehl geschlagen.
  • Die Reling war mit einem Netz zur Absturzsicherung versehen worden. Uwe und Karen scheinen tatsächlich zu glauben, dass wir da rumlaufen.

Ich schrie mir erst einmal die Seele aus dem Leib. Schon wegen der Verstopfung. Bereits im Auto auf dem Weg zum Yachthafen. Yoshi knurrte im Bariton und Quincy mauzte gelegentlich kläglich. Auf der Tosh angekommen, machten wir es dann wie damals, als wir in das neue Haus einzogen. Wir arbeiteten zusammen. Zusammen sind wir stark, wir sind laut, wir haben Durchschlagskraft. Wir verschaffen uns das Gehör, das uns zusteht. Wir wollten zeigen, dass es neben Pest und Cholera noch eine dritte vernünftigere Variante gibt, den Urlaub zu verbringen. Mensch und Tier gemeinsam und Zuhause und in Ruhe. Ohne Abenteuer, ohne See und ohne Tosh. Home Sweet Home! So wie in den letzten Jahren.

Also brüllte ich wie Mick Jagger, Yoshi knurrte wie der Bass von Darryl Jones und Quincy übernahm den Part von Charlie Watts. Sein Fauchen ist lauter als jede Snare. Wir hatten kein Auge für die kleinen feinen Details, die die Tosh für uns bereithält. Wir verzogen uns in die Betten von Karen und Uwe – die Tür zur Bugkajüte war leichtsinnigerweise offen geblieben – und begannen unser Monster-Rockkonzert.

Ungeachtet der Geräuschkulisse passierte die Tosh um 13:30 die Seeschleuse in Papenburg. Ich hoffte, dass die unkundigen Seefahrenden bereits beim ersten Schleusen jämmerlich versagten. Und tatsächlich hörte ich hektisches Gerenne und Gerufe. Aber weder rammte die Tosh die Spundwand, noch hängte sie sich auf, weil die Seile festgezurrt waren, statt sie zu slippen. Es fiel auch keiner ins Wasser, verletzte sich oder ….

Die Motorgeräusche in der Kajüte waren nicht das Schlimmste. Mich störte das Schwappen des Wassers an den Außenwänden der Tosh und das elende Geschaukel. Unser Konzert geriet aus dem Takt. Quincy verkroch sich unter der Bettdecke, Yoshi knurrte beharrlich und ich wurde an Deck gezerrt.

Hier entstand dann auch das Foto. Ich in der Schwimmweste unter der Persenning beim Steuerstand. Cool oder? Ich gab mir alle erdenkliche Mühe, so zu tun, als sei ich voll cool. Gemächlich fuhren wir die Ems talwärts und ich muss zugeben, einen Augenblick dachte ich, Cholera sei doch die bessere Wahl. Wir passierten weidende Kühe, weidende Schafe. Karen und Uwe riefen “Oh” und “Ah” und “Guck mal da”, als hätten sie noch nie Kühe und Schafe gesehen, und wirkten entspannt und verzückt. Das durfte nicht so bleiben. Auf keinen Fall.

Beim Emssperrwerk Gandersum erreichten wird den Dollart. Der Wind wurde stärker, der Wellengang ruppiger. In der Bugkajüte schaukelte es, dass mir schummrig wurde. Der Inhalt meines Magens drehte sich bei jedem Schwappen. Mal in die eine, mal in die andere Richtung. In meinem Darm drehte sich nichts. Der war noch immer verstopft. Die Bugwellen der vorbeischießenden Lastkähne verstärkten das Schwappen und das Magendrehen. Ich schrie, was meine Stimmbänder hergaben.

Karen verfrachtete uns von der Bugkajüte in die Katzenheckkajüte. Hier sei das Schaukeln nicht so schlimm. Es sollte schlimmer kommen.

Ein Katamaran jagte an uns vorbei. Kapitän Uwe hatte ihn nicht kommen sehen und hören und versäumt, die Tosh zu drehen, um der Bugwelle auszuweichen. Die Tosh schaukelte sich auf. Die ungesicherte Geschirrschublade schlug auf und zu und auf und zu. Der Tisch kippte um – den hätte man anschrauben müssen! -, Quincy bekam einen Anfall von Spotandurchfall, auf den jede Cholera stolz gewesen wäre, und ich übernahm das Brechen. Das kann ich am besten. Mit Durchfall habe ich es nicht so. Ich bin der Typ mit der Verstopfung. Yoshi knurrte dazu in allen Tonlagen.

Genauso unvermittelt wie es begonnen hatte, hörte das Schwappen auf. Das Wasser beruhigte sich, wurde friedlich gar. Ich lauschte der Diskussion an Deck. In Kürze würden wir den Yachthafen Neptunus in Delfzijl erreichen. Was für eine gute Nachricht! Plötzlich hörte ich fremde Stimmen Backbord. Die Brücke Havenbrug öffne sich nicht, wir sollten die Schleuse nehmen. Die Tosh wendete. Per Funk wurde mit dem Schleusenwärter Kontakt aufgenommen. Allerdings ohne Erfolg. Orientierungslos trieb die Tosh dahin.

Erneut ein Richtungswechsel. Die Tosh fuhr zurück in Richtung Yachthafen. Ich wunderte mich kolossal, bis ich den Yachthafen sah. Ich hatte mich vor ein Fenster gestellt, schlug mir mit der Pfote an die Stirn und grölte in mich hinein. Der Yachthafen liegt vor der Havenbrug. Es konnte uns piepegal sein, ob die Brücke öffnete oder nicht. Wie peinlich! Wenn jetzt noch das Anlegemanöver misslang, mussten Karen und Uwe einsehen, dass Home Sweet Home weitaus mehr zu bieten hatte als Pest und Cholera.

Tatsächlich begann es zögerlich. Welche Box solle man nehmen, wurde diskutiert. Na prima! Schließlich setzte die Tosh zurück, korrigierte einmal, fremde Stimmen mischten sich in das Durcheinander. “Hier brauchen wir noch ein Seil!” “Habt ihr noch einen Fender?” Ruckzuck lag die Tosh ruhig und sicher in ihrer Box. Mist, das gelingt immer besser.

Karen entschuldigte sich mit dem Hinweis, man sei blutiger Anfänger. “Waren wir alle einmal”, lautete die Antwort.

Bilanz des Tages:

  • Zwei kaputte Unterteller, eine kaputte Tasse
  • Drei verdreckte Decken
  • Der Boden musste gewischt werden.
  • Zu einem unbekannten Zeitpunkt hat sich der Knopf des Radios verabschiedet. Bei der Spontanreparatur bekam es einen schizophrenen Anfall. Jetzt ist es seltsam tot.
  • Wir sind in Delfzijl angekommen.

Über den letzten Punkt freuten sich Karen und Uwe allerdings so sehr, dass all die Fehler, Schäden und Peinlichkeiten sofort in Vergessenheit gerieten. Es gab Bier und Abendessen. Es wurde gechillt. Weder Yoshi, Quincy noch ich waren gechillt. Darüber musste ich erst einmal eine Nacht schlafen.

Übrigens wurde die kaum begonnene Seereise als beendet erklärt. Nach einem Tag Pause würde die Tosh ihre Reise durch die friesischen Kanäle fortsetzen. Wie geplant. Wie kam ich nur auf Seereise?

9 Kommentare

  1. Herrlich, ich freue mich auf die Fortsetzung!

  2. Das gefällt mir. Ich bin gespannt, wie es weiter geht.
    Schöne Zeit

  3. Haubold Sasse

    Brillant, selten so eine tolle und humorvolle Geschichte gelesen. Freue mich schon auf die weiteren Abenteuer der 3😀.
    Viel Spaß mit Tosh, vielleicht kreuzen sich ja mal unsere Wege.

  4. Sandra Wysling-Gasser

    sehr schön geschrieben! zum lesen auch noch amüsant☺️. Wünsche euch viel Spass miteinander auf der Tosh🤩
    schöne Grüsse von Sandra+Thomas auf der Katja, im Moment noch auf dem Bodensee🤗

  5. Pingback:Keine Meuterei auf der Tosh – Karen Grol

  6. Dietmar Muschik

    Die Story entwickelt sich zu einem Podcast? Sehr schön geschrieben. Wir sind schon gespannt auf die Fortsetzung und darf die Crew auch weiterhin mitfahren? Ist Androhen von ” Kielholen” eine Alternative? Wo bekommt man denn solche Schwimmwesten her? Euch weiterhin viel Spaß und einen schönen Urlaub. LG, Hiltrud und Dietmar

  7. Karin Siebert

    Eine ganz süße Geschichte, interessanter als ein Krimi.
    Mein Hund , bzw. Hunde, einer ist zwischenzeitlich gestorben und ein Welpe wurde angeschafft, reisen immer 5 Monate mit uns. Ob Ost-Nordsee, Kanäle o.ä. Haben sie immer mehr oder weniger gut gemeistert. Ohne mein Haustier würde ich nie verreisen, es gehört zur Familie und reisen durch dick und dünn.

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