Der Glasgow Herald berichtet in einer Samstagsausgabe im August, dass das Grab von Talwin Morris in Dumbarton wieder hergerichtet worden sei. Ich befürchte, daran bin ich nicht ganz unschuldig. Folgende Geschichte hat sich zugetragen.

150 Jahre Charles Rennie Mackintosh

Zu Mackintoshs 150. Geburtstag sind wir, Uwe und ich, planmäßig in Schottland. Die Charles Rennie Mackintosh Society hat geladen. Vom 6. bis 10. Juni jeden Tag Programm. Ein Mackintosh-Highlight jagt das nächste. Am Nachmittag des 7. Juni, Mackintoshs Geburtstag, findet die inoffizielle Eröffnung der Willow Tea Rooms statt. Members only. Das ist fast wie Tee bei der Queen. Nur viel schöner. Am Samstag steht der Ausstellungsbesuch im Hunterian Museum auf dem Plan. Am Sonntag dürfen wir Windyhill besichtigen. Das Haus, das Mackintosh für die Familie Davidson in Kilmacolm gebaut hat. Es ist in Privatbesitz und bewohnt. Eine Besichtigung daher alles andere als gewöhnlich. Aber darum geht es hier ja gar nicht.

Am Morgen des 7. Juni haben wir sozusagen frei und beschließen jenseits der üblichen Mackintosh-Route den Künstler zu ehren. Also nicht das House of an Art Lover, nicht die Glasgow School of Art, nicht das Hill House, nicht das Light House, nicht … Was dann?

Talwin Morris Grab

Mackintoshs Asche wurde 1928 im Mittelmeer verstreut. Es gibt kein Grab, das wir besuchen können. Daher schlage ich vor, nach Dumbarton zu fahren, um das Grab von Alice und Talwin Morris zu besuchen. Das Ehepaar Morris war mit dem Ehepaar Mackintosh eng befreundet. Der Grabstein ist ein Design von Mackintosh himself. Ich finde, das ist Grund genug.

Irrfahrt in Dumbarton

Wir irren autofahrend durch Dumbarton auf der Suche nach einem Friedhof. Das Navi hilft wenig. Einen Plan haben wir nicht. Ein Schild nicht in Sicht. Uwe hält an einer Kirche. Ich steige aus in der Hoffnung auf ein menschliches Wesen, das ich befragen kann. Schüchtern werfe ich ein »Hello« in den Bungalow, der als Büro dienen mag.

Ein Mann zeigt sich. Ich frage nach dem Grab von Talwin Morris. Er ruft irgendwas in den Hinterraum. Ich höre Stimmen, Schritte. Verstärkung naht.

»Talwin Morris? Sie kennen ihn nicht? Und Charles Rennie Mackintosh? Das sind zwei bedeutende Künstler aus dem 19. Jahrhundert. Das Grab ist von 1911.« Meine entsetzte Miene möchte ich nicht sehen. Wenigstens Mackintosh müssen sie doch kennen.

Eine Frau und zwei Männer runzeln die Stirn. Ich ändere die Strategie, frage nach einem alten Friedhof und jetzt hellt sich das Gesicht der Frau auf. Freudig erklärt sie mir den Weg zum Dumbarton Cemetry. Ich solle unbedingt nach einem Bob fragen. »Bob kennt jeden Grabstein.«

Auf der Suche nach Bob

Bob also. Kann dieser Bob helfen? Wir setzen alle Hoffnung auf ihn. Wir finden problemlos die Stirling Road, biegen scharf links in die Garshake Road und noch schärfer links auf das Gelände von Dumbarton Cemetery. Durch ein offenes Tor geht es den seichten Hügel hinauf. Bäume werfen Schatten. Darunter Gräber ohne erkennbare Ordnung. Sonnenstrahlen blinzeln durch das Blätterwerk der Laubkronen auf sie herab. Ein sanfter Wind erzählt von unserer Ankunft. Doch niemand hört ihm zu. Es bleibt friedlich und ruhig.

Auf der rechten Seite befindet sich ein Gebäudezug: roter Backstein, schlicht, eingeschossig. Ich steige das Treppchen zum Haupthäuschen hoch. Die Tür steht offen. Der Raum ist leer. Der rechte auch. Links ist ein Büro, doch der Schreibtisch unbesetzt. Wir versuchen es im angrenzenden Hof, der sich hinter einer Mauer verbirgt. Aus einem Nebengebäude klingen Stimmen. Ich schaue durch das geöffnete Fenster hinein.

»Wir suchen Bob«, sage ich nach einer freundlichen Begrüßung.

»Bob hat heute frei.« Einer der drei Männer erhebt sich bereitwillig aus seinem Stuhl und kommt heraus in den Hof.

Ein einsilbiges Telefongespräch

Ich erzähle ihm meine Geschichte. »… Grab … Talwin Morris … Charles Rennie Mackintosh … Glasgow School of Art … 150 Jahre …« Ich habe das Gefühl, mit einem Baum zu reden. Der Mann runzelt die Stirn und wiegt bedächtig den Kopf.

»Aye.« Mehr sagt er nicht.

Er schreitet voran. Wir folgen ihm unaufgefordert. Sein Ziel ist das Office mit dem unbesetzten Schreibtisch. Bobs Schreibtisch, ahnen wir. Er greift zum Telefon und wählt eine Nummer.

»Er ruft Bob an«, flüstert Uwe mir zu. Wir grinsen in stillem Einvernehmen.

Unser Mann spricht in den Hörer eines konventionellen Telefons. Der Hörer ist – wie damals – per Kabel am Telefongerät befestigt. Das ändert nichts daran, dass wir dem Glasgower Dialekt nicht gewachsen sind. Wir verstehen nichts. Nur das folgende Schweigen verstehen wir. Bob scheint zu sprechen, scheint den Weg zum Grab des Ehepaars Morris zu beschreiben und unser Mann platziert in jede von Bobs vermutlich winzigen Sprechpausen sauber und sicher sein Kopfnicken zusammen mit einem »Aye«, so dass wir davon ausgehen müssen, dass Bobs Erklärungen einem geheimnisvollem Takt gehorchen.

Ein kurzer Lauf

Endlich ist das Gespräch beendet. Unser Mann legt den Hörer auf die Gabel und rennt los. Wir folgen ihm eilig und erneut unaufgefordert. Es ist nicht leicht, Anschluss zu halten. Es geht den Hügel bergauf. Den linken der zwei möglichen Wege entlang und wir sind keine 50 Meter gelaufen, da stoppen wir auch schon.

»Aye«, sagt unser Mann. Er weist mit ausgestrecktem Arm auf einen Grabstein.

Tatsächlich, das ist er. Wir schreiten zur Tat. Uwe geht mit seiner Kamera in Position. Ich halte Zweige und Blätterwerk hoch, damit auf dem Bild überhaupt etwas anderes zu sehen ist als Zweige und Blätterwerk.

Fotostopp

»Aye«, ruft unser Mann. Er deutet uns, unsere Aktivitäten sofort zu unterlassen. Ein Wortschwall ergießt sich, den wir nicht verstehen, trotzdem zu deuten wissen. Unsere Beteuerungen, das sei nicht nötig, bleiben unbeachtet. Unser Mann läuft den Hügel hinab und verschwindet hinter der Mauer im Friedhofsbauhof. Es bleibt lange ruhig. Warten dauert stets Ewigkeiten. Aber da ist er auch schon wieder. Er stampft den Hügel herauf. In der Hand eine enorme Gartenschere, mit der er flugs zur Tat schreitet. Die Zweige des Baumes müssen weichen. Schnippschnapp befreit er den Grabstein von unnötigem Bewuchs. Nett schaut’s aus.

Während Uwe nun ohne meine Hilfe Fotos machen kann, will unser Mann es genau wissen. Wer da jetzt liege? Was dieser Mann denn gewesen sei? Woher wir kämen? So was eben.

Die geneigte Leserin und der geneigte Leser wissen das alles bereits. Wenn nicht empfehle ich Wer Bücher liebt, muss Talwin Morris lieben.

Noch ein Schlußsatz. Für den ich mich der Worte unseres Mannes bediene.

»Aye!«

Jetzt wurde Morris’ Grab also wirklich auf Vordermann gebracht!? Der Glasgow Herald schreibt’s. Dann ist’s auch wahr.

(C) Karen Grol – 17.08.2018

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert